Gestern war ich in Berlin auf einer Veranstaltung des Bahnkunden-Verbandes über die Notwendigkeit des Wiederaufbaus und der Modernisierung der Berliner Ostbahn. Das ist die Bahnstrecke, die Berlin mit Kostrzyn in Polen verbindet und weiter ostwärts durch Polen führt. Das alles war die Königlich Preußische Ostbahn, die dann 1945 den größten Teil ihres Zwecks verlor, aber seit 1989 einen neuen Zweck gefunden hat. Es gibt eine weitere Wikipedia-Seite über die heutige Strecke zwischen Berlin und der Grenze zu Polen bei Kostrzyn.
Die Strecke war in letzter Zeit in den Nachrichten, weil sich der Bau der neuen Brücke über die Oder bei Kostrzyn verzögert hat – sie wird nun erst irgendwann im Frühjahr nächsten Jahres eröffnet.

Aber die Brücke wird irgendwann eröffnet. Die interessantere Frage – und das Thema der gestrigen Veranstaltung – ist, wie es weitergeht.

Die IHK Ostbrandenburg hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und auch eine Studie bei Gauff Mobility über das Potenzial der Strecke in Auftrag gegeben. Eine Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und einige Folien, die den gestern gezeigten ähneln, sind öffentlich zugänglich.
Die Probleme sind offensichtlich genug.
Die Strecke – bis 1945 zweigleisig – ist seitdem nur noch eingleisig. Und die Strecke ist nicht elektrifiziert.
Das stellt in erster Linie die Pendler vor Probleme, die die Strecke nutzen – diejenigen, die in Strausberg und Müncheberg wohnen und nach Berlin pendeln, aber auch diejenigen, die von weiter her kommen – von Polen nach Küstrin-Kietz (dem ersten Bahnhof auf deutscher Seite) fahren und von dort den Zug nehmen. Die Züge sind überfüllt, die Kapazität ist zu gering und die Eingleisigkeit macht den Betrieb unzuverlässig. Ein zweigleisiger Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke wären sowohl für die Pendler als auch für die wirtschaftliche Entwicklung des östlichen Brandenburgs sinnvoll. Das ist die Strecke aus der Perspektive der Pendler (zum Vergrößern anklicken):
Wenn du ein bisschen herauszoomst, kannst du auch andere Perspektiven sehen.
Die Strecke Berlin – Erkner – Fürstenwalde – Frankfurt (Oder) – Rzepin – Poznan ist die Hauptverbindung von Deutschland nach Polen, sowohl für Güter- als auch für Personenzüge. Und auch sie ist nahezu ausgelastet, wenn auch mit besserer Infrastruktur (2-gleisig, elektrifiziert) als die Ostbahn.
Aber so gesehen bietet die Ostbahn – und ihre Verlängerung bis Krzyż Wielkopolski – eine Nebenstrecke nach Poznan. Es wäre sehr sinnvoll, einen Teil des Güterverkehrs über diese Strecke zu leiten, und auch Personenzüge, wenn die Strecke durch Frankfurt (Oder) wegen Bauarbeiten gesperrt ist (zum Vergrößern anklicken):
Wenn du diese Denkweise weiterverfolgst und noch weiter herauszoomst, kannst du die Ostbahn als Teil eines breiteren Ost-West-Korridors sehen – um sie mit der zukünftigen Rail Baltica zu verbinden. Für Personenzüge würde diese Strecke über Olsztyn nicht in Frage kommen, aber für den Güterverkehr aus den baltischen Staaten wäre dies ein praktikabler Korridor – nicht zuletzt, weil er die Bahnstaus in Poznan und Warszawa umgeht (zum Vergrößern anklicken):
Auch auf polnischer Seite gibt es viele Probleme, die gelöst werden müssten, nicht zuletzt die Elektrifizierung der Abschnitte Kostrzyn-Krzyż (bereits in Planung) und Olsztyn-Suwałki (und die Untersuchung dieser Abschnitte steht irgendwann im Jahr 2024 auf meiner Agenda).
Aber lasst uns für einen Moment auf die deutsche Seite zurückkommen. Doppelspurigkeit und Elektrifizierung von 75 Streckenkilometern. Erhöhung der Geschwindigkeit auf 160km/h. Ein Dutzend Bahnhöfe aufrüsten. Lärmschutz. In der IHK-Schätzung von 2018 wurden die Kosten auf 160 Mio. € geschätzt, aber das ist heute zweifellos höher. Aber selbst wenn die Kosten 250 Mio. € betragen würden, wäre dies nur ein Projekt mittlerer Größe.
Um voranzukommen, müsste die Strecke jedoch in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden. Doch die Antwort des Ministeriums (auf eine Anfrage von Linke-Bundestagsabgeordneten, wie hier berichtet) von Staatssekretär Michael Theurer (FDP): „Bei der Ostbahn handelt es sich um eine Nahverkehrsstrecke, welche nach derzeitigem Kenntnisstand der Bundesregierung den Verkehrsbedarfen gerecht wird“ – eine Antwort, die offensichtlich nicht stimmt.
Eine Aufnahme der Strecke in das TEN-T-Gesamtnetz der EU könnte mittelfristig ebenfalls möglich sein, aber die Strecke ist nicht Teil des TEN-T-Kernnetzes und daher nicht sofort förderfähig. Auch eine Finanzierung durch die Fazilität „Connecting Europe“ oder möglicherweise sogar durch Interreg könnte in Betracht gezogen werden.
Es gibt einen gemeinnützigen Verein, der sich für die Aktivierung der Strecke einsetzt – die Interessengemeinschaft Ostbahn e.V. – aber ihre Website ist eher fade und versucht nicht zu erklären, warum die Ostbahn verbessert werden sollte, im Gegensatz zu einer ganzen Reihe anderer Projekte, die stattdessen finanziert werden könnten. Als ich den Redner auf der gestrigen Veranstaltung fragte, was er sagen würde, wenn er 30 Sekunden Zeit hätte, Volker Wissing zu erklären, warum die Ostbahn und nicht eine andere Verbindung finanziert werden sollte, hatte er keine Antwort. Um Fortschritte zu machen, brauchen wir eine etwas schärfere Kommunikation als diese.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Ausbau der Ostbahn Vorteile für die Pendler bringen würde, zusätzliche Kapazitäten zwischen Berlin und Poznan bieten würde und sogar der Anfang einer Verbindung zur Rail Baltica wäre. Es ist genau die Art von Projekt, die durchgeführt werden sollte, wenn es Deutschland und der EU ernst damit ist, Passagiere und Güter auf die Schiene zu bringen. Aber der Weg dorthin, um es tatsächlich in Angriff zu nehmen, geschweige denn zu vollenden, scheint von Ungewissheit und Trägheit überschattet zu sein. Wir brauchen etwas Besseres als das.
In diesem Beitrag gezeigte Karten: meine Overlays auf OpenRailwayMap, Elektrifizierung-Layer