Grenzbahnhöfe in Tarifsystemen – eine einfache Änderung mit großer Wirkung

An zwei entgegengesetzen Enden Deutschlands gibt es grenzüberschreitende Bahnstrecken, wo die Fahrkarten herrlich einfach zu erwerben sind: von Gronau (Nordrhein-Westfalen) nach Enschede (Niederlande) und von Freilassing (Bayern) nach Salzburg (Österreich).

An zwei anderen Grenzübergängen – von Kehl (Baden-Württemberg) nach Straßburg (Frankreich) und von Forst Lausitz (Brandenburg) nach Żary (Polen) – funktioniert der grenzüberschreitende Fahrkartenverkauf allerdings nicht so gut, wie er sollte.

In Bezug auf Komplexität für den Fahrgast rangieren alle anderen 54 grenzüberschreitenden Bahnstrecken von/nach Deutschland, auf denen es Personenverkehr gibt, irgendwo dazwischen.

Die Situation an jeder Grenze - kartiert. Vollständig zoombare Karte:
Die Situation an jeder Grenze – kartiert. Vollständig zoombare Karte: https://umap.openstreetmap.fr/en/map/crossborderrail-border-stations_938611#6/51.693/12.296

Der Komplexitätsgrad rührt daher, wie die Grenzbahnhöfe in den Tarifsystemen definiert sind und wie viele Bahnhöfe sich auf welchen Seiten der Grenze befinden. Die Lösung des Problems, die in diesem Blogbeitrag näher erläutert wird, besteht darin, mindestens einen (und idealerweise mehr als einen) tatsächlichen, physischen Grenzbahnhof in die Tarifsysteme beider Länder aufzunehmen.

Zunächst einmal ein Schritt zurück.

Die Zeiten, in denen Fahrkarten einfach nach den zurückgelegten Kilometern bezahlt wurden, sind in den meisten europäischen Ländern vorbei. Es ist zwar immer noch möglich, solche entfernungsabhängigen Fahrkarten zu bekommen, aber – vor allem bei Regionalzügen – zahlt man für so ziemlich jede Fahrt weniger, wenn man den sogenannten Verbundtarif nutzt – also den regionalen Tarif, der von den örtlichen Verkehrsbetrieben festgelegt (und subventioniert) wird.

Einer der Gründe für die Einführung des 49-Euro-Deutschlandtickets war es, das Kopfzerbrechen an den Grenzen zwischen diesen Verkehrsverbünden innerhalb Deutschlands zu beseitigen. Wenn ich mit dem Zug von Berlin nach Görlitz fahren würde, müsste ich zwischen dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) und dem Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON) hin- und herfahren und hätte entweder eine teure Fahrt oder bräuchte zwei separate Tickets für jeden Verbund, um die Kosten niedrig zu halten. Aber dort ist zumindest der Bahnhof Spremberg sowohl im VBB- als auch im ZVON-Tarifsystem enthalten.

Bereits hier wird klar, worauf ich hinaus will.

Stell dir vor, ich überquere eine internationale Grenze nach oder von Deutschland. Auf der deutschen Seite habe ich meinen Verbundstarif, aber auf der anderen Seite habe ich entweder einen Verbundstarif aus dem Nachbarland oder einen Einzelfahrschein. Die Frage ist dann, ob das, was auf deutscher Seite passiert, mit dem übereinstimmt, was auf der anderen Seite der Grenze vor sich geht.

Die Antwort darauf lautet: Es kommt darauf an, welche Grenze ich überquere. Und das hängt davon ab, wie viele Bahnhöfe – keiner, einer oder mehr als einer – in den jeweiligen Tarifsystemen der zwei Länder an der Grenze enthalten sind.

Einige Beispiele helfen hier weiter.

In Gronau-Enschede gilt der deutsche Tarif (einschließlich Deutschlandticket) bis nach Enschede, und niederländische Pässe wie das Traject Vrij gelten bis nach Gronau. Das Deutschlandticket gilt bis Salzburg Hbf und das österreichische Pendant, das Klimaticket, ist bis Freilassing gültig. Perfekt!

Das funktioniert, weil Enschede ein Bahnhof im deutschen Tarifsystem ist, obwohl er in den Niederlanden liegt. Salzburg Hbf ist im deutschen Tarifsystem, obwohl er in Österreich liegt. Und Gronau ist im niederländischen Tarifsystem und Freilassing im österreichischen System.

Aber an anderen Orten funktioniert es nicht.

In Straßburg-Kehl kann ich nur bis Krimmeri-Meinau mit einem französischen Ticket fahren und das Deutschlandticket gilt erst ab Kehl(Gr) – eine Lücke von 4,5 km, für die ein separates internationales Ticket benötigt wird. Bei Forst Lausitz liegen nur 500m zwischen dem Grenzpunkt Forst(Gr) und Zasieski, dem ersten Bahnhof auf polnischer Seite – aber auch hier ist ein spezielles internationales Ticket nötig. Da sind die schlimmsten Fälle.

Straßburg ist nur im französischen Tarifsystem, Kehl und Forst Lausitz nur im deutschen System und Zasieski nur im polnischen System vorhanden.

Und es sind nicht nur die Nutzer von Regionalzügen, die von diesen Problemen betroffen sind: Da Straßburg nicht wie Enschede als Bahnhof im deutschen Tarifsystem definiert ist, sind günstige Sparpreis-Ticketsin die Stadt, die einen ICE in Deutschland mit dem Regionalzug Offenburg-Straßburg kombinieren, nicht erhältlich, wohl aber nach Kehl – gleich auf der anderen Rheinseite von Straßburg.

Und dann zu den Fällen irgendwo dazwischen. Während Enschede-Gronau perfekt ist und Forst-Lausitz-Żary offensichtlich mangelhaft, gibt es eine Reihe anderer Grenzen, wo es in die eine Richtung korrekt funktioniert, in die andere aber nicht.

Anderswo an der deutsch-französischen Grenze gilt das Deutschlandticket etwa sowohl in Lauterbourg als auch in Wissembourg, die beide in Frankreich liegen, aber die französischen Fahrausweise können auf der deutschen Seite der Grenze nicht benutzt werden. Da ist es also besser für Leute, die von Deutschland nach Frankreich reisen als in die Gegenrichtung. In Simbach (Inn) ist es genau umgekehrt: Das Klimaticket gilt bis Simbach (Inn), das in Deutschland liegt, aber das Deutschlandticket gilt nicht bis Braunau (Inn), dem ersten Bahnhof in Österreich.

Die Lösung: Mach Straßburg wie Enschede, Zasieski wie Lauterbourg und Braunau (Inn) wie Salzburg Hbf.

Aber was ist, wenn die Tarifsystemgrenze nicht an einem Bahnhof verläuft?

Wenn man sich in der Vergangenheit internationale Fahrkarten genau ansah, merkte man vielleicht Namend wie Aachen Süd(Gr), Furth im Wald(Gr) und Flensburg(Gr). Diese Orte sind keine richtigen Bahnhöfe, und die Züge halten dort nicht.

Einige Fahrauswesie – darunter das Deutschlandticket2, tschechische Pässe wie der IN 100 und einige französische Karten – gelten jedoch auf dem gesamten Schienennetz bis zum Grenzpunkt. Wer also von Prag über Furth im Wald (Gr) nach München fährt und sowohl ein Deutschlandticket als auch ein IN 100 hat, braucht für die gesamte Reise keine zusätzlichen Fahrkarten. Wenn man aber nur das eine oder das andere Ticket hat, braucht man eine Fahrkarte von Furth im Wald(Gr) nach Furth im Wald oder Domažlice (je nachdem, welches Ticket bereits vorhanden ist) – und muss dann eine Bahngesellschaft dazu bringen, einem eine Einzelfahrkarte für einen (Gr)-Bahnhof zu verkaufen, was höllisch kompliziert ist und normalerweise nicht online möglich. Fahrkarten für (Gr)-Bahnhöfe sind also bestenfalls eine Teillösung an einigen wenigen Orten. Auch hier wäre es sinnvoller, die tatsächlichen Bahnhöfe auf beiden Seiten der Grenze in die jeweiligen Tarifsysteme aufzunehmen.

Was muss passieren und wo?

Die Situation an jeder der 54 aktiven Grenzübergangsstellen in Deutschland wird in diesem öffentlichen Google Sheet erläutert, und wenn Daten fehlen, können auch Kommentare hinzugefügt werden. Außerdem wird aufgelistet, was an jeder Grenze getan werden muss, und eine Karte, die all dies auf uMap zeigt, findest du hier. Die offensichtlichsten Probleme gibt es bei Flensburg-Padborg, Aachen-Welkenraedt, Kehl-Krimmeri-Meinau, Neuenburg-Bantzenheim, Forst Lausitz-Zasieki, Guben-Gubin, Frankfurt (Oder)-Slubice, Grambow-Szczecin Gumience: An jeder dieser Grenzen gibt es keine Bahnhöfe, die in den Tarifsystemen beider Länder enthalten sind. Allerdings gibt es nur 11 der 54 Linien, bei denen alles komplett stimmt. Aber wie das Beispiel in Kiefersfelden zeigt, ist es mit dem entsprechenden politischen Willen auf beiden Seiten der Grenze nicht schwer, diese Probleme zu lösen. Die Lösung besteht darin, mindestens einen (und idealerweise mehr als einen) tatsächlichen, physisch vorhandenen Grenzbahnhof in die Tarifsysteme beider Länder aufzunehmen.

 

Dies ist die Übersetzung eines Beitrags von Jon Worths #CrossBorderRail-Website. Den Originalartikel auf Englisch findest du hier.

 

Anmerkungen

Dieser Blogbeitrag wurde mit der Hilfe vieler Menschen erstellt, insbesondere von @partim@social.tchncs.de @ummels@freiburg.social @NymeHess@zug.network @elba013@muenchen.social @AndiBarth@muenchen.social @moritzkraehe@zug.network @smveerman@zug.network @FloSchMUC@muenchen.social – vielen Dank an alle! Für etwaige Fehler in diesem Beitrag und dem dazugehörigen Google Sheet und der Karte bin ich allein verantwortlich.

In diesem Beitrag geht es um die Grenzen Deutschlands, denn das ist es, was ich im Mai 2023 in meinem #CrossBorderRail Germany Projekt erforscht habe. Solche Probleme könnten auch an anderen Grenzen auftreten, aber ich habe einfach keine Kapazität, all diese Grenzen zu untersuchen.

1 – Es spricht nichts dagegen, dass ein Einwohner Frankreichs ein Deutschlandticket oder ein deutscher Einwohner ein österreichisches Klimaticket kauft. Der Einfachheit halber gehe ich hier aber davon aus, dass die Leute normalerweise das Ticket kaufen, das in dem Land ausgestellt wird, in dem sie wohnen.

2 – Das Deutschlandticket ist gemäß den Bedingungen in diesem PDF gültig: „Das Deutschland-Ticket berechtigt im jeweiligen Geltungszeitraum zur unbegrenzten Nutzung der Züge des SPNV im tariflichen Geltungsbereich des Deutschlandtarifs„. Was ist also der Geltungsbereich des Deutschlandtarifs? Die Tarifpunkte sind hier – PDF. Und das schließt (Gr)Bahnhöfe ein. Wie das gilt – wenn ein Betreiber eines Zuges nicht in den Deutschlandticket-Bedingungen aufgeführt ist (z.B. SNCB oder Arriva Nederland), wissen wir nicht – siehe dies von Andi Barth. Dieser Beitrag von @nymehess erklärt die tschechische Situation.

3 – Die Deutsche Bahn kann keine Fahrkarte zu einem (Gr)Bahnhof verkaufen: Die DB nennt sie „fiktive Orte“ (siehe dies von Edmund Lauterbach). Aber die Deutsche Bahn kann  sehr wohl eine 100%-ige Ermäßigung auf die Fahrkarte für einen Teil einer Strecke geben. Die DB könnte also eine Fahrkarte für die Strecke Aachen Hbf – Hergenrath verkaufen, bei der aber der Teil Aachen Hbf – Aachen Süd(Gr) um 100% ermäßigt ist – wie Michael Ummels hier erklärt. Aber das ist nicht online verfügbar und demjenigen, der das den Mitarbeitern in einem Reisezentrum zu erklären versucht, ist eine glückliche Hand zu wünschen…!

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