Wie die Rolle von Twitter als führendes Social Media in der EU-Politik endet

Als Twitter sich aus dem freiwilligen Verhaltenskodex der EU zur Desinformation zurückzog, reagierte der EU-Kommissar für den Binnenmarkt Thierry Breton natürlich auf Twitter:

Breton ist auch auf dem dezentralen Open-Source-Konkurrenten Mastodon vertreten, nutzt ihn aber kaum. Twitter bleibt bis auf Weiteres der Ort, an dem die Kommissare die wichtigen Dinge sagen.

Věra Jourová, Bretons Amtskollegin in der Kommission, versuchte zu erklären, was passiert war – Twitter habe „die Konfrontation gesucht“, sagte sie.

In den ersten Monaten unter der Führung von Musk mag Twitter unberechenbarer geworden sein und der Inhalt extremeren Ansichten zugeneigt sein, aber für EU-Kommissare wie Breton und Jourová und für die Generaldirektionen Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU sowie Justiz war es sinnvoll, dort zu bleiben.

Vor drei Monaten war es noch kein Reputationsrisiko, als Kommissar auf Twitter zu sein. Von nun an bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) tritt am 25. August in Kraft, und Twitter wird in dem Gesetz als sehr große Online-Plattform eingestuft. Daher wird das Unternehmen verpflichtet sein, die Regeln zur Bekämpfung von Desinformation einzuhalten – genau das Thema des freiwilligen Kodex, von dem sich Twitter gerade zurückgezogen hat. Bei Nichteinhaltung kann ein Unternehmen mit einer Geldstrafe von bis zu 6% seines weltweiten Umsatzes belegt werden.

Es ist eine Sache, wenn Twitter einen freiwilligen Kodex verlässt, aber eine ganz andere, wenn es wegen Nichteinhaltung gerichtlich belangt wird.

Natürlich würde es Jahre dauern, bis sich ein Verfahren gegen Twitter vor Gericht käme, aber die wichtigere und drängendere Frage, die sich kurzfristig stellt, ist der Imageschaden – für die Kommissare, die Twitter kritisieren, aber die Plattform weiterhin nutzen.

Ich stelle mir gerade eine Frage in einem Mittagsbriefing vor: „Herr Breton, Sie kritisieren Twitter, aber Sie persönlich nutzen es weiter, obwohl es Alternativen gibt. Finden Sie das nicht etwas scheinheilig?“

Die Co-Vorsitzende der deutschen SPD, Saskia Essen, hat Twitter verlassen, um diese Art von Heuchelei zu vermeiden (ihre Beweggründe werden hier erklärt). Ich frage mich, wie schlecht die Beziehungen zwischen Twitter und der Kommission noch werden müssen, bevor Kommissare dasselbe tun? Und wenn das der Fall ist, wird auch die zentrale Rolle von Twitter im Brüsseler Nachrichtenkreislauf wackelig.

Es wird so sein, dass die Vormachtstellung von Twitter in der EU-Politik zu Ende geht. Die Frage ist, wann genau – und wie schnell – das geschehen wird.

 

Dies ist die Übersetzung eines Beitrags aus dem Euroblog von Jon Worth. Den Originalartikel auf Englisch findest du hier.

 

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Big crack by Luis Alveart on November 7, 2015
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