Party!
Ab dem 28. Juli wird es auf der grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitsstrecke Figueres – Perpignan täglich vier Züge in jede Richtung geben! Eine Verdoppelung des Angebots! Der Einstieg von Renfe in den französischen Markt!
Moment mal.
Vier Züge pro Tag und Richtung auf einer zweigleisigen, elektrifizierten Strecke mit einer Geschwindigkeit von 350 km/h? Und vier Züge pro Tag hatten wir schon, bevor die Zusammenarbeit zwischen Renfe und SNCF scheiterte.
Im Gegensatz dazu gibt es 13 Hochgeschwindigkeitszüge pro Tag auf der Strecke Figueres-Barcelona und sieben direkte TGVs pro Tag zwischen Perpignan und Paris . Dagegen sehen die vier Relationen auf der grenzüberschreitenden Strecke wiederum mickrig aus.
Renfe könnte – sobald ihre Züge der Serie 106 in Frankreich zugelassen sind – weitere Verbindungen einrichten. Aber die SNCF wird das sicher nicht tun: Hat sie doch für die Hälfte ihrer 10 Euroduplex-TGVs, die in Spanien verkehren dürfen, die Zulassung für die französischen Signaltechnik auslaufen lassen. Ja, richtig gelesen: Die französische Bahn macht aus Triebzügen, die eigentlich zwischen Frankreich und Spanien hin und her düsen könnten, wieder Einheiten, die nur in einem Land fahren dürfen – in Spanien…

Dann gibt es die innig gehegte Hoffnung, dass die Nachtzüge ein Comeback feiern.
Unterziehen wir sie einem Realitätscheck. Bisher hat nämlich allein und ausschließlich die ÖBB neue Nachtzüge bestellt: 30 Sieben-Wagen-Garnituren von Siemens, die ab Dezember dieses Jahres in Betrieb gehen sollen. Aber wie Bahnexperte Sebastian Wilken es schon einmal dargelegt hat, ist die Kapazität der Nachtzüge in Mitteleuropa selbst mit diesen österreichischen Neuzugängen nach wie vor lausig – wenn man sie zum Beispiel mit Finnland vergleicht.
Aber was ist mit all den schönen Neugründungen? Nun: Betreiber wie European Sleeper geben zwar ihr Bestes, mit abgenutztem Altmaterial, das sie irgendwo auftreiben, das Angebot an Nachtzügen zu erweitern. Das reicht aber bei weitem nicht für eine echte Renaissance aus. Damit Nachtzüge mehr als nur ein Nischenprodukt sind, müssen nämlich andere größere Zugbetreiber – nicht nur die ÖBB – auf den Plan treten und in neue Züge investieren. Und wo sind diese Unternehmen,die die Zeichen der Zeit erkennen?

Ich sehe keine.
Auch das ist ein verdammt großes Problem.
Hier ein weiteres: Das desolate Bild bei den Verbindungen zwischen den angeblichen Motoren der europäischen Integration, Frankreich und Deutschland.
Ja, das sind Länder, die derzeit auf allen grenzüberschreitenden Regionalstrecken zum Teil dürftige Dieselzüge verkehren lassen und den Einsatz neuer Hybridzüge um weitere zwei Jahre – auf 2026 (ursprünglich war 2024 vorgesehen) – verschoben haben, weil sie sich nicht einigen können, wer für den Betrieb und die Wartung der neuen transnationalen Flotte verantwortlich sein soll.

Und was ist mit dem Plan, mindestens einen Hochgeschwindigkeitszug (wahrscheinlich einen ICE) pro Tag und Strecke zwischen Berlin und Paris fahren zu lassen? Nun: Dieser Plan stößt auf erbitterten Streit, denn Saarbrücken konkurriert mit Karlsruhe und Straßburg darum, wo der Zug halten soll. Wie wäre es denn mit mehr als einem einzigen Zugpaar…?
Ab Dezember dieses Jahres könnte es einen Nachtzug der ÖBB auf der Strecke Paris-Berlin geben, aber das hängt davon ab, ob die neuen Züge verfügbar sind. Kommt es dazu, wird eine schöne Einweihungsfeier für diesen Zug geben, auf der sich alle auf die Schulter klopfen – obwohl das lediglich eine Wiederherstellung des Status-Quo bis 2015 darstellt, als die Deutsche Bahn den Nachtzug auf dieser Strecke einstampfte, und wir wahrscheinlich auch auf dieser Strecke drei Nachtzüge pro Nacht brauchen…
Ungeachtet dessen werden der Man in Seat 61 und eine Reihe von YouTube-Influencern ihre überschwänglichen Kommentare abgeben, wie toll das alles sei. Und ein Dutzend CEOs wird für Selfies posieren und sie anschließend auf LinkedIn posten. Eine richtige Party, also.
Tut mir leid, wenn ich euch dabei in die Parade fahren muss, aber: Das alles ist nicht genug. Nicht annähernd genug.
Noch bevor wir zu den Zügen selbst kommen, haben wir keinen richtigen europäischen digitalen Bahnfahrplan, damit die Leute überhaupt wissen, welche Züge überhaupt fahren. Warum nicht? Weil die Union internationale des chemins de fer (UIC) in Paris sich nicht dazu durchringen kann, ihre eigenen Mitglieder dazu zu bringen, ihre Daten in ihr Merits-System einzugeben. Warum müssen die Fahrgäste auf grenzüberschreitenden Strecken überhaupt wissen, was fährt? Na: Wenn sie es wüssten, würden sie die Züge vielleicht besser füllen!
Oder nehmen wir den Fahrkartenverkauf. Alle alten Platzhirsche behalten ihre nationalen Fahrkartenverkaufsmonopole bei und zeigen sich wenig bereit, ihrre Fahrkartendaten zu einem angemessenen Preis an Dritte weiterzugeben. Das scheint den Betreibern näher, als insgesamt mehr Fahrkarten zu verkaufen. Ja, warum sollte man überhaupt mehr Fahrkarten verkaufen wollen? Solange es ja zu wenige, zu kleine Züge sind, passt es den Betreibern ja doch bestens mit verhaltener Nachfrage. Wenn es nämlich zusätzliche Nachfrage gäbe, müssten sie vielleicht mehr davon fahren lassen (Anstrengend!) oder – Um Himmels willen! – die Kapazität erhöhen, anstatt die Gewinne aus einem Monopol abzuschöpfen. (Ja, ich schaue euch an, Eurostar-Thalys, mehrheitlich im Besitz der SNCF…).
Und wenn die staatlichen Unternehmen so schlecht darin sind, was ist dann mit den privaten Unternehmen? Westbahn, Flix, Italo und Regiojet sind auch nicht gerade auf dem Vormarsch, weil die finanziellen Investitionen für eine massive Expansion schwer zu stemmen und die technischen Hürden für den Eintritt in andere Märkte so hoch sind, dass eine Ausweitung – vor allem auf grenzüberschreitenden Strecken – nahezu unmöglich ist.
Es gibt ein Europa voller Verbraucher, die in heißen Sommern braten und die gerne mehr mit dem Zug reisen würden, wenn die Bahn sie versorgen könnte. Aber so wie es aussieht, sie die der Sektor absolut nicht bereit, das zu tun – zumindest nicht für grenzüberschreitende Strecken.
Ich sehe also keine Spur von Dringlichkeit. Kein Anzeichen, dass es eine angemessene Reaktion auf die Nachfrage seitens der Verbraucher geben wird. Zu wenig Unternehmergeist in der Privatwirtschaft. Und die EU hat hochgesteckte Ziele, aber weder den Willen noch die Mittel, sie in die Tat umzusetzen.
Im Moment fühle ich mich von all dem völlig im Stich gelassen…
Dies ist die Übersetzung eines Beitrags aus dem Eisenbahnblog von Jon Worth. Den Originalartikel auf Englisch findest du hier.
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Ouigo 108 en Can Batista by Aleix Cortés on August 25, 2021
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